People Power

Philippinen 1984-1986

Junge Demonstrant:innen auf der größten Demonstration 1986.(Foto: Davao Catholic Herald)

Durch systematisch angewandte Gewaltfreiheit hat „people power“ auf den Philippinen eine Diktatur überwunden, die für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. Die Bürger:innenbewegung brachte den von der US-Administration gestützten Diktator Ferdinand Marcos am 25. Februar 1986 dazu, das Land zu verlassen. Die Befreiung beruht auf einer bewussten, 1984 getroffenen Entscheidung für die gewaltfreie Vorgehensweise: Tausende Menschen bereiteten sich persönlich und methodisch auf die Anwendung des Konzepts vor.

Anfang der 1980er Jahre nahmen sowohl der wirtschaftliche Niedergang großer Teile der Bevölkerung als auch die Unterdrückung durch das Marcos-Regime auf den Philippinen erschreckend zu. Die meisten Einwohner:innen der großen Inseln gehören der katholischen Kirche an. Viele Ordensleute und Priester setzten sich für die sozial Benachteiligten und gegen die Verarmung auch politisch ein. Ungezählte Oppositionelle, darunter Gewerkschafter:innen, Bauern und Studierende, wurden von Sicherheitskräften verprügelt, verhaftet oder ermordet. Kommunist:innen bewaffneten sich im Untergrund und bekamen immer mehr Zulauf.

Drohende Eskalation

Der Oppositionspolitiker Benigno Aquino war einer der Hoffnungsträger des Volkes gegen Ferdinand Marcos. Seine lebenslängliche Gefängnisstrafe durfte er durch einen krankheitsbedingten Aufenthalt in den USA unterbrechen. Er entschied sich, in die Heimat zurückzukehren, um sich weiter für die Befreiung von der Diktatur einzusetzen und zwar auf dem Weg der aktiven Gewaltfreiheit. Trotz der Warnungen von Marcos, er könne „für seine Sicherheit nicht garantieren“, und dem Wissen, dass er sehr wahrscheinlich ermordet werden würde, flog der Politiker in die philippinische Hauptstadt zurück. In Manila angekommen, wurde er am 21. August 1983 beim Aussteigen aus dem Flugzeug erschossen. Unter dem Eindruck von Aquinos gewaltsamem Tod entwickelte sich eine breite Bürger:innenbewegung gegen die Diktatur. Doch an der diktatorischen Politik änderte sich nichts. Immer mehr Menschen kamen zu der Überzeugung: „Man sieht es ja: Gewaltfreiheit bringt nichts.“ Immer weniger kamen zu den friedlichen Demonstrationen. Immer mehr schlossen sich dem bewaffneten Untergrund an. Die Spannung steigerte sich, Bürgerkrieg lag in der Luft.

1984 folgte das Ehepaar Jean Goss und Hildegard Goss-Mayr einem Hilferuf von Ordensleuten aus Manila. Hildegard Goss-Mayr (*1930) hat ihr Leben im Auftrag des Internationalen Versöhnungsbundes der gewaltfreien Konfliktlösung gewidmet. Ihr Mann Jean Goss (1912–1991) gehört zu den bekanntesten Friedensaktivisten des 20. Jahrhunderts. Die beiden fuhren zunächst durch das Land, um die Menschen und ihre Lage kennen zu lernen. Dann erläuterten sie Führungspersonen in der Zivilgesellschaft, Gewerkschafter:innen, Studierenden, Kirchenleuten und Menschen aus der bürgerlichen Opposition, darunter Benignos Bruder Agapito Aquino, das gewaltfreie Einsatzkonzept. Sie machten deutlich, dass die Entscheidung dafür – bei einem skrupellosen Gegner – genauso die Bereitschaft zum Einsatz des Lebens erfordere wie ein Vorgehen mit Gewalt. Die beiden erklärten sich bereit, Schulungen durchzuführen, sofern die Beteiligten auf den Philippinen sich für die Gewaltfreiheit entschieden, und reisten nach Wien zurück.

Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss 1984 (Foto: Jim Forest)

Entscheidung für Gewaltfreiheit

Im Juni 1984 wurden sie zurückgerufen. Hildegard und Jean hielten Trainings und Seminare für Multiplikator:innen aus Politik, Gewerkschaft und Kirche ab, darunter auch eines für 30 Bischöfe. Philippinische Akteur:innen gründeten die Organisation AKKAPKA (Aksyon Para sa Kapayapaan at Katarungan), diese führte auf breiter Ebene Schulungen durch und traf Vorbereitungen für den Widerstand. Die neue Zeitschrift „Würde anbieten” informierte und trug zur Mobilisierung vieler Gruppen und Institutionen bei. Der Glaube spielte eine große Rolle: Die biblische Botschaft mit ihren vielen Befreiungsgeschichten wurde als Impuls zur Befreiung neu entdeckt. Religiöse Riten wurden neu mit Inhalt gefüllt und immer mehr auf die eigene Situation der Unterdrückung bezogen. So wuchs der Boden für die „Rosenkranzrevolution“.

Als der Diktator Marcos für den 7. Februar 1986 aufgrund des Drucks aus den USA kurzfristig Präsidentschaftswahlen ansetzte, trafen AKKAPKA, die Wahlbeobachtungsgruppe NAMFREL und andere Organisationen mit Hochdruck Vorbereitungen für die Wahl: Sie spielten verschiedene Szenarien durch, von Stimmenkauf durch die Regierung, Urnenklau und Wahlbetrug bis zum Ignorieren des Wahlergebnisses durch das Regime. Für jedes Szenario arbeiteten sie verschiedene Aktionsmöglichkeiten aus. In einer Zeltstadt in Manilas Innenstadt-Park boten Akteur:innen permanent und massenhaft Schulungen an, in denen die Teilnehmer:innen gewaltfreie Haltung und Methoden einübten, einschließlich Fasten. Das steckte an, immer mehr Menschen machten mit.

Umsetzung der Strategie

Am Wahltag retteten Ordensfrauen Urnen vor bewaffneten Sicherheitskräften, die sie entwenden wollten. Sie hielten die Stimmzettelbehälter mit den Worten „Nur über meine Leiche!“ fest. Freiwillige bewachten Tag und Nacht die Urnen. Doch die Regierung verlangte die Bekanntgabe eines gefälschten Wahlergebnisses.

Dreißig Computertechniker verließen unter Protest das staatliche Rechenzentrum, da sie die angeordnete Fälschung nicht mitmachen wollten. Die Wahlbeobachtungskommission trat zurück. Massenhaft boykottierten Menschen sieben Banken, die Diktator Marcos nahestanden, einen mit ihm verbündeten großen Getränkehersteller sowie regierungsnahe Zeitungen. Marcos-treue Sicherheitskräfte zerstörten den einzigen unabhängigen (kirchlichen) Sender Radio Veritas – worauf die Betreiber:innen vorbereitet waren, sodass nach kurzer Zeit die Sendungen von einem anderen Ort aus weitergingen.

Der Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile ertrug den Wahlbetrug nicht mehr und bekannte: „Aus meiner eigenen Region weiß ich, dass wir selbst mehr als 350.000 Stimmen gefälscht haben.“ Er und Teile des Militärs distanzierten sich von Ferdinand Marcos und verschanzten sich im Camp Aginaldo. Kardinal Jaime Lachica Sin rief die Bevölkerung auf, den Marcos-abtrünnigen Soldaten Schutz zu bieten und Nahrung zu bringen, was sofort massenhaft geschah.

Unbewaffnete Zivilisten mit religiösen Symbolen umzingelten Panzer und Soldaten auf der EDSA (Epifanio de los Santos Avenue) und sorgten für eine friedliche Beilegung der Krise. (Foto: Linglong Ortiz)

Gewaltfreie Massendemonstrationen

Der Diktator befahl einer Kampfhubschrauber-Einheit, das Camp der Meuternden zurückzuerobern. Die Soldaten dort bereiteten sich auf ihr Sterben vor, die abgesandte militärische Einheit aber solidarisierte sich mit ihnen. Ferdinand Marcos ordnete Panzer-Einheiten an, das Camp zu stürmen. Doch die Bevölkerung begab sich, von Kardinal Lachica Sin öffentlich aufgerufen, massenhaft auf die Straße und stellte sich, angeführt von Nonnen und Priestern, Brote und Blumen verteilend, singend und mit dem Vater-Unser und Rosenkranz-Gebeten auf den Lippen, oft mit Tränen in den Augen, den Panzern entgegen.

Die Militärfahrzeuge stoppten. Menschen sprachen mit den Soldaten. Nach Stunden fuhren sie ihre Panzer in die Kasernen zurück. Die Herrschaft des Diktators war zerfallen. Das Militär sagte Ferdinand Marcos zu, es werde nicht auf seinen Hubschrauber schießen; am 26. Februar 1986 verließ er mit seiner Familie den Regierungspalast. Eine 20-jährige Diktatur endete. Die gewaltfreie Revolution verlief auf den Philippinen ohne Blutvergießen, ohne einen Schuss und ohne einen Toten.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift „Graswurzelrevolution“ Nr. 498, im April 2025.

Radioaufnahmen der Revolution, gesendet von mehreren Radiostationen, wurden 2003 von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen, als eine „Chronik einer Nation und seiner Bevölkerung zu einem entscheidenden Zeitpunkt ihrer Geschichte“.

Hildegard Goss-Mayr mit Kleinen Schwestern (Foto: Jim Forest)

Der Autor Peter Dietzel leitete von 1983 bis 1997 die Redaktion der Bangladesch-Zeitschrift NETZ. Deren Redakteur:innen hatten die Flugkosten von Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss auf die Philippinen sowie gewaltfreie Trainings von AKKAPKA unterstützt. Ebenso hat NETZ die deutsche Ausgabe des Buches „Revolution from the Heart“ von Nial O’Brien über den gewaltfreien Kampf auf der Zuckerinsel Negros initiiert und verbreitet (dt: Die Kinder von Negros, Lamuv-Verlag, 1993).